Zum Inhalt springen

Eine Weihnachtsgeschichte von einem Juma-Klaus

Es ist Samichlaustag, und langsam dunkelt es schon ein. Mit meinem treuen Begleiter Schmutzli und unserem schwer bepackten Esel stapfen wir los. Der Schnee unter den Stiefeln knirscht, und unsere Sicht reicht nur so weit wie der Lichtkegel unserer Laterne. In meinem grossen Buch stehen die Namen aller Kinder, die wir heute besuchen. Aber nicht nur ihre Namen, sondern auch ihre guten und schlechten Taten stehen dort geschrieben. Schon oft musste mein Schmutzli einem Kind drohen, es in unseren Jutesack zu stecken und es mit uns in den Wald zu nehmen. Das kam aber zum Glück noch nie vor.

Ausserhalb des Dorfes, schon fast im Wald, liegt ein altes Haus. Aus dem Kamin qualmt es, und das Feuer im Ofen wirft durch die vereisten Fenster ein warmes Licht hinaus auf die unberührte Schneedecke. Doch als wir näherkommen, können wir das Geschenk nicht finden, das uns die Eltern eigentlich vor der Haustüre parat stellen wollten. Ein Samichlaus-Besuch ohne Geschenk? Das geht doch nicht! Die Kinder werden sehr enttäuscht sein.

Dennoch läutet Schmutzli die schwere Glocke, die wir jedes Jahr dabeihaben. Ihr magisches Klingeln dringt durch die vom Schnee gedämpfte Atmosphäre. Dann öffnet sich wie von Zauberhand langsam die Haustür und ein kleiner Junge stürmt heraus, der noch nicht einmal seine Winterschuhe zugebunden hat. Er ist total aufgeregt und streichelt behutsam die Schnauze unseres getreuen Packesels. Während die Mutter dem übermütigen Kleinen Mütze und Schal bringt, versteckt sich seine kleine Schwester schüchtern hinter ihrer Mutter. Ein paar Krokodilstränen kullern ihr über die zart roten Bäckchen. Sie schaut verängstigt zum Schmutzli, und erst als ich auf sie zugehe und mich auf ihre Augenhöhe knie, entlocke ich ihr ein zaghaftes Lächeln. Natürlich dürfen die beiden unseren Esel streicheln und sogar füttern, bevor mich beide Kinder an den Händen in die warme Stube ziehen, während Schmutzli den Esel anbindet. Kaum sitze ich, muss ich mich schon den ersten skeptischen Fragen des älteren Jungen stellen: „Wieso sind deine Stiefel so dreckig? Wie viele Kinder besuchst du? Und wie alt ist der Samichlaus?“ Natürlich kontere ich, ich sei schon so alt, dass ich bereits bei allen Kindern im Dorf war, auch bei denen, die schon längst keine Kinder mehr sind. Sonst wäre ich nicht der Samichlaus. Das leuchtet dem Buben ein.

Im Wohnzimmer sitzt nun die ganze Familie beisammen. Das ist leider nicht in jedem Haus der Fall. Sogar Nana und Neni ergänzen die Runde. Während der Junge uns heissen Punsch und selbstgebackene Kekse anbietet, überreicht uns seine kleine Schwester ein von ihr gemaltes Bild. Es zeigt Schmutzli und mich, wie wir draussen im Schnee unter einem vollen Sternenhimmel stehen. Die beiden Kinder stehen zwischen uns. Sogar unseren lieben Esel hat sie nicht vergessen. Über uns allen leuchtet ein grosser Stern mit goldenem Schweif. Sie kann für ihr zartes Alter schon sehr gut malen und führt die Farbstifte mit Sorgfalt. Schmutzli und ich sind wirklich begeistert. Nun möchte ihr grosser Bruder sich zu Wort melden und steht auf. Er hat ein eigenes Gedicht vorbereitet. Ich höre in seiner feinen Stimme Nervosität und schaue ihn ermutigend und beruhigend an. Nach einem kurzen Blick zu seinem Neni beginnt er. Es ist kein Samichlaus- oder Weihnachtsgedicht. Es ist ein Gedicht für seine Eltern, in dem er sich für alles bedankt, was sie ihm und seiner Schwester bieten. Das rührt nicht nur die Grosseltern, sondern auch Schmutzli und mich. Der Kleine fährt fort, dass er dieses Jahr gar kein Geschenk haben möchte, weil er schon mehr habe, was er zum Glücklich-Sein bräuchte. Auf den Augen der Mutter erscheint ein feuchtes Glitzern. Als der Junge mit seinem Vortrag fertig ist, mit dem er seine bedingungs- und grenzenlose Liebe gegenüber seiner Familie gestanden, wischte sich auch der Vater heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel. Solche Familienmomente sind sehr wertvoll, und genau deshalb besuchen Schmutzli und ich am Samichlaustag die Kinder.

Dann müssen wir aber weiter. Es warten schliesslich noch andere. Bevor wir gehen, zähle ich noch alles Lobenswerte auf, vergesse aber auch nicht, ihre Lausbubenstreiche zu erwähnen. Weil wir die Geschenke zuvor nicht gefunden hatten, bleiben ein von unseren Stiefeln schmutziger Fussboden und zwei enttäuschte Kinder zurück, die sich bemühen, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Der Junge drückt sein Schwesterchen, während wir durch die Haustür in der dunklen Nacht verschwinden. Wir laufen schweren Herzens weiter. Da hören wir doch noch die Stimme der Mutter: „Schaut! Der Samichlaus hat eure Geschenke hier draussen versteckt!“ Wir hören den kindlichen Jubelschrei. Schmunzelnd und zufrieden ziehen wir weiter. Denn bis jetzt hat noch immer ein Kind ein Samichlausgeschenk bekommen.

 

Die Geschichte entstand aus einem Gespräch mit Gian Fahrni, 21, einem von vier Samichläusen der Juma Ausserdomleschg. Er sammelte bereits einige Erfahrungen beim organisieren von Festen und Veranstaltungen. Es macht ihm Spass, Freude für jedermann und seine Region zu bieten.

Published inblog