Tag 1:
Um 11:50 ging unser Bus von Bergen aus in südwestliche Richtung nach Odda. Den Vormittag nutzten Jabulani und ich, um eine Wanderkarte und Proviant für die kommenden Tage einzukaufen. Neben vier Dosengerichten besorgten wir noch drei Leibe Brot, Salami, Konfi, Studentenfutter und Trockenfrüchte, sowie Müsliriegel und 25 Liter Wasser in 5 l Kanistern, weil wir uns nicht sicher waren, ob wir Trinkwasser finden werden.
Schon auf dem Weg zum Busbahnhof merkten wir, dass wir nicht mit leichtem Gepäck reisen. Vorsichtig geschätzt trug jeder von uns ca. 35-40 Kg auf dem Rücken.
Die Busfahrt nach Odda dauerte drei Stunden. Als wir ankamen, bemerkten wir gleich die steile Felswand, die auf unserer geplanten Route lag.
Die Strecke war wirklich extrem steil, der Pfad sehr uneben und schmal. An manchen stellen ging es direkt neben dem Trampelpfad mehr als 50 Meter in die Tiefe. Das Gepäck vereinfachte uns unsere erste Etappe nicht, weshalb wir auch alle 100 Meter pausieren und Luft holen mussten. Beim Aufstieg wurden wir von mehreren Wanderern überholt, die alle meinten, dass wir an jedem Bach Trinkwasser bekämen und von denen gäbe es genügend.
Nach 5 3/4 Stunden, 1000 Höhenmetern und 13.5 km hatten wir unseren ersten Schlafplatz erreicht. Wir stellten das Zelt auf und kochten unsere erste Mahlzeit aus der Dose mit dem Wissen, dass unser Gepäck morgen etwas leichter sein wird. Drei unserer Wasserkanister leerten wir aus, das sind 15 kg weniger, die wir morgen mittragen müssen. Kurz bevor wir schlafen gehen wollten bekamen wir Besuch von zwei Schafen, die ganz neugierig an unseren Sachen (vor allem an unserem Proviant) schnupperten. Auch in der Nacht, als wir schliefen, vernahm ich neben dem Zelt das leise Bimmeln ihrer Glöckchen.


Tag 2:
Durch das leichte Tröpfeln von Regen auf unserem Zelt wurde ich wach und mein erster Gedanke war, dass wir das Zelt wohl nicht trocken einpacken können. Jabulani und ich assen im Zelt Toastbrot mit Konfi zum Frühstück, als der Regen aufhörte. Schnell packten wir unsere Sachen zusammen, brachen das nasse Zelt ab und gingen los. Wir marschierten einen riesigen Geröllhaufen hinauf, einen Wanderweg konnte man das nicht nennen. Nur alle ca. 150m signalisierte eine grosses, rotes „T“, das auf irgendwelche Steine gesprayt war, dass wir noch auf der richtigen Route waren. Wir mussten also bei jedem „T“ Ausschau nach dem Nächsten halten und uns den Weg selbst suchen. Je weiter wir liefen, desto undeutlicher war ein Pfad zu erkennen, dem man hätte folgen können. Wir waren auf 1400m.ü.M, als das nächste „T“ auf der anderen Seite einer Schneedecke lag. Wir entschieden uns um diese Schneedecke herumzulaufen, um kein grösseres Risiko einzugehen, da wir im Schnee auch keine Spuren von vorherigen Wanderern sahen. Wir wollten so auf die Spitze des Møyfallsnuten (1466m.ü.M) gelangen, da von dort aus der „Wanderweg“ weiter gehen würde. Kurz vor dem Gipfel lag aber wieder eine Schneedecke, die dieses Mal nicht zu umgehen schien. Uns war beiden bei dem Gedanken nicht wohl, zu zweit und mit immer noch mit reichlich Gewicht auf unseren Schultern über ein Schneefeld zu laufen, ohne zu wissen, wie dick die Schneeschicht unter uns überhaupt ist. Uns blieb leider nichts anderes übrig. Ich lief voraus, mit dem Blick fest an das Ende der Schneedecke. Ausser dass wir wenige Zentimeter einsackten, passierte uns zum Glück nichts. Auf dem Møyfallsnuten trugen wir uns ins Gipfelbuch ein und assen zu Mittag, als es begann zu regnen. Wir zogen unseren Regenschutz an, aber trotzdem regnete es auf mein Salamitoastbrot. Wir wollte keine weiter Zeit mehr auf dem Berg verbringen und zogen weiter. Endlich sahen wir auch wieder das nächste rote „T“. Von jetzt ging es nur noch bergab, aber im Regen. Es ging nicht lang, bis wir auf die nächste Schneedecke stiessen, diesmal waren aber Spuren von anderen Wanderern zu erkennen. Wenigsten ein gutes Zeichen. Im Verlauf der Wanderung mussten wir noch zwei weitere Schneedecken überqueren, jedes mal mit einem unguten Gefühl im Bauch. Beim Anblick der riesigen Gerölllandschaft fragte ich mich, ob es hier nicht öfters Steinschläge gäbe, wollte die Antwort aber gar nicht wissen.
Wir gelangten auf eine steil abfallende Wiese. Mittlerweile gab es auch wieder einen Wanderpfad, der sich aber aufgrund des Regens in einen Bach verwandelt hatte. Am unteren Ende des Abhangs lag ein See mit einer kleinen Hütte davor (992m.ü.M). Dort suchten wir vor dem Regen Schutz. In der Hütte war niemand, aber das Vordach war gross genug, dass unser Gepäck, Jabulani und ich dort Platz hatten. Wir waren total durchnässt, unterkühlt und unsere Motivation war am Boden. Ich zog mir trockene und warme Kleidung an, als Jabulani mir mit breitem Grinsen im Gesicht eine 200g Schoggitafel mit Rosinen und Haselnüssen unter die Nase hielt. Unsere Stimmung hob sich also wieder etwas. Wir hofften, dass der Regen wieder aufhören würde, und so sassen wir gute zwei Stunden unter dem Vordach , hörten Musik, erzählten und gingen unsere Optionen durch. Wir warfen, angesichts des Wetters, unsere eigendlichen Pläne über den Haufen und entschieden uns trotz des Regens noch bis Skyeggedal (417m.ü.M). zu laufen und dort unser Zelt aufzuschlagen. Das bedeutete aber auch, dass wir nochmal zwei Stunden durch den Regen laufen mussten. Ich versuchte mich mental auf die Tortur vorzubereiten und wir zogen uns wieder die nassen Regenkleider an.
Der Abstieg weiter ins Tal war nicht grade amüsant, zumal die Wanderpfade weiterhin Bäche waren.
Wenigsten ist die Natur sehr schön. Als wir in Skyeggedal endlich ankamen, merkten wir, dass es hier gar nichts gibt. Nicht einmal eine Strasse. Nur vereinzelte Ferienhäuser, in denen wir aber keine Leute sahen und eine grosse Staumauer. Wir suchten einen geeigneten Zeltplatz und entschieden uns dafür, direkt neben dem Staudamm unser Lager aufzuschlagen. Es gelang uns, das Innenzelt beim Aufstellen trocken zu halten, das galt aber nicht für unsere restliche Ausrüstung. Bei dem Regen wurde vieles von uns nass. Bei mir sind lediglich zwei t-Shirts, ein Pullover und eine kurze Hose trocken geblieben. Die Mühe uns etwas zu kochen ersparten wir uns. Nach 17.5km und 1500 Höhenmetern, krochen wir total erledigt in unsere Schlafsäcke (ebenfalls etwas feucht) und schliefen sofort ein.


Tag 3:
Heute würden wir das Ziel unserer Reise erreichen. Den Trolltunga. Ein Felsvorsprung, der 790m über einen See hinaus ragt. Die Strecke dorthin beträgt 11km, das muss man dann auch wieder zurück laufen. Die Wanderung wird mit 11-12 Stunden Laufzeit angegeben und gilt als höchst anspruchsvoll. Jährlich gibt es unzählige Rettungsaktionen auf diesem Weg. Als wir aufstehen regnete es noch nicht und wir versuchten ein Feuer hinzubekommen – vergebens. Das ganze Holz war so durchnässt, dass wir es nicht schafften, uns am Feuer zu wärmen. Als dann auch noch der Regen einsetzte, brachen wir die Versuche ab, packten einen Rucksack mit Karte und Verpflegung, sowie einer Apotheke und liessen die restlichen Dinge in unserem Zelt, zudem wir am Abend wieder zurückkehren wollten. Wir liefen über die Staumauer zum Anfangspunkt der Route. Sofort fielen uns die parkenden Autos und dutzende von Touristen auf, die anscheinend ebenfalls zum Trolltunga wollten. Am Anfang der Route standen Warnhinweise, die noch einmal darauf aufmerksam machen sollten, wie gefährlich diese Wanderung sei. Der erste Kilometer war sehr steil aber immerhin waren grosse Steine zu einer Treppe ausgelegt, wenn auch uneben. Der Weg wurde, je höher wir kamen, immer matschiger, da es die ganze Nacht durchgeregnet hatte. Wir hatten ein ordentliches Tempo drauf und überholten dauernd andere Wanderer. Manche von ihnen waren mit schlechten Sneakers unterwegs. Wir sahen Alte, Junge und Kinder, die in einer schlechteren Verfassung und mit schlechter Ausrüstung unterwegs waren, als wir. Dabei dachten wir uns, dass wenn jemand gerettet werden muss, das sicherlich nicht wir sind. Alle paar Kilometer wechselten wir den Rucksack, assen eine handvoll Studentenfutter, tranken einen Schluck und gingen weiter. Zwischenzeitlich ist die Strecke sehr steil und praktisch nie gerade verlaufend. Der Wanderpfad ist zwar besser als die, auf denen wir in den letzten Tage gelaufen sind, aber ein richtiger Weg war das noch lange nicht. Immer wieder sieht man die Hinweistafeln von „Survival cabins“ in denen man auf Hilfe warten soll, falls etwas sein sollte. Wir kamen aber weiterhin gut voran und erreichten nach vier Stunden den Trolltunga. Vom Trolltunga sieht man über den ganzen See, blickt auf riesige Felswände vor sich und betrachtet im allgemeinen ein wahnsinniges Panorama. Wir waren entsetzt, dass es eine Menschenschlange vor dem Felsvorsprung gab, an der man sich anstellen musste, um ein Foto machen zu können. Wir standen etwa eine halbe Stunde lang dort an, um ebenfalls ein Foto zu machen. In dieser Zeit wurde die Sicht immer schlechter, der Wind immer unangenehmer und kälter. Es fing sogar etwas an zu schneien. Als das Foto gemacht war, traten wir auch sofort den Heimweg an. Wir wollten nicht bei so vielen Touristen unser Mittagessen geniessen und suchten uns einen windgeschützteren Ort. Als wir grade dabei waren in unser Käsetoastbrot zu beissen, fing es wieder an zu regnen. Ich hatte die Nase voll von dem scheiss Wetter in Norwegen! Wir assen fertig und machten uns wieder auf den Weg. Wir hatten ja noch 11km vor uns. Meine Beine hatten langsam das Gefühl nicht mehr mögen zu dürfen, aber das ignorierte ich. Auch auf dem Rückweg kamen wir weiterhin gut voran, überholten einige und machten alle paar Kilometer eine kurze Pause. Wir hörten, wie einen Kilometer weiter vor uns ein Helikopter landete und wieder abflog, sehen konnten wir leider nichts. Wahrscheinlich jemand der es nichtmehr weiter schaffte. Es hörte immer mal kurz auf zu regnen, doch dann fing es wieder an, echt mühsam. Das Wetter wechselt alle 10-15 Minuten und auf die Wettervorhersagen, die wir natürlich jeden Morgen studierten, konnten wir uns nie verlassen.
Die Strecke zog sich weiter in die Länge, aber nach ebenfalls vier Stunden gelangten wir wieder am Ausgangspunkt an. Wir waren beide total gerädert und unsere Beine und Füsse schmerzten. Wir hatten innerhalb acht Stunden 26km und 1500 Höhenmeter zurückgelegt. Das entspricht über 40 Leistungskilometern mit einer Marschgeschwindigkeit von etwa 5km/h.
Wir liefen zurück zum Zelt und waren wie erschlagen. Mit Müh und Not kochten wir uns wiedermal etwas aus der Dose und schliefen sofort ein.





Tag 4:
Heute wollen wir uns nicht anstrengen müssen. Schon gar nicht nach der anstrengenden Wanderung von gestern. Bis um 10 Uhr schliefen wir gemütlich aus und weil wir im Zelt schon den Regen hörten, blieben wir auch dort. Es reizte uns nicht besonders raus zu gehen. Bis um 12 Uhr regnete es noch, dann hörte es auf und wir wagten uns das erste Mal vor das Zelt. Wir machten ein Feuer und kochten uns wieder Dosenravioli. Es traute sich sogar die Sonne hinter den dicken, dunklen Wolken hervor und wir legten unsere nassen Kleidungsstücke im Sonnenschein zum trocknen aus. Nach dem Essen wuschen wir unser Geschirr im See ab und solange die Sonne noch schien, brachen wir auch das Zelt ab.
Wir liefen bis nach Tyssedal. Die knappen 10 km dorthin liefen wir in zwei Stunden. Kurz vor Tyssedal stand eine Bank mit wunderbarer Aussicht auf einen Fjord, die Berge und das kleine Dorf. Während wir die erste Zivilisation seit vier Tagen betrachteten, waren Jabulani und ich uns einig, dass das das grösste Abenteuer in unserem Leben war. Wir trafen wichtige Entscheidungen immer richtig, kamen sehr gut miteinander aus und kamen öfters an unsere Grenzen.
Von Tyssedal nahmen wir den Bus bis nach Odda. Odda kannten wir bereits ein wenig, da wir von dort aus ja gestartet waren. Wir kauften im Supermarkt noch für die morgige Heimreise ein und liefen den Berg hinauf, den wir auch letzten Montag hochgestiegen waren. Nur dieses Mal nicht so weit. Kurz ausserhalb des Dorfes sahen wir schon am Montag einen perfekten Zeltplatz und da wir am morgigen Tag schon um 05:50 auf den Bus mussten, schlugen wir dort unser Lager auf. Am Lagerplatz hatten wir eine Feuerstelle, einen Bach in der Nähe, eine Bank und eine schöne Aussicht. Sogar die Sonne schien! Wir stellten unser Zelt auf und kochten Hörnli mit Sauce. Dazu tranken wir unser erstes Bier seit langem – verdient schmeckts am besten! Bier in Norwegen ist leider sehr teuer! Bevor wir schlafen gingen, kam noch ein netter, alter Mann auf seinem Abendspaziergang bei uns vorbei und wir unterhielten uns mit ihm eine Weile. Er war total begeistert, dass zwei 19 jährige aus der Schweiz den Weg in seine kleine Stadt gefunden hatten. Er fragte uns wissbegierig nach unserer bisherigen Reise aus und wollte wissen was wir später im Leben noch so alles vor haben. Wir verabschiedeten uns herzlich und wünschten uns gegenseitig alles Gute.
Gegen 23 Uhr gingen wir schlafen, obwohl es noch hell war, aber morgen früh stand die Heimreise an.





Letzter Zeltplatz oberhalb von Odda

Tag 5:
Es geht wieder nach Hause!
Um 04:45 klingelte unser Wecker. Noch im Halbschlaf packten wir unsere Sachen zusammen, brachen das Zelt ab und marschierten runter ins Dorf. Von Dort aus ging unser Bus bis nach Rosendal. Ab Rosendal nahmen wir ein schiff, das uns über die Fjorde bis nach Bergen brachte. In Bergen holten wir noch unser restliches Gepäck im Hostel ab, das wir vergangenen Montag dort deponieren durften. Ganz unverschämt fragte Jabulani an der Rezeption, ob wir noch duschen dürften und die nette Frau erlaubte es uns. Wahrscheinlich hat sie auch gerochen, dass wir eine Dusche nötig hatten! Von Bergen ging es mit dem Flugzeug nach Oslo und von dort aus weiter nach Zürich. Auf dem letzten Flug sahen wir wiedermal, seit ein paar Wochen, den Sonnenuntergang. In unseren Köpfen schwebten noch die ganzen Eindrücke und Erinnerungen, als die Sonne den Horizont rot färbte und verschwand. Mit Sicherheit war das mein bisher grösstes Abenteuer. Ich bin Dankbar, dass alles gut ging und ich wieder mal in meinem Bett schlafen darf.